Es gibt Dinge die ich mag: Zum Beispiel Messer. Es gibt Dinge die ich nicht mag: Zum Beispiel Umzüge und die damit verbundenen Renovierungsarbeiten. Ich war gerade in den ersten Planungen für meinen nächsten Umzug als ich von Fenix das Angebot bekam das ein oder andere Ruike Messer ausgiebig zu testen. Also machte ich aus der Not eine Tugend und entschied mich für ein umfangreiches Multifunktionsmesser und ein kleineres EDC Pendant welche in der Umzugsphase „am Mann“ sein sollten. Gerade bei solchen Unternehmungen liegen immer wieder kleinere Arbeiten an. „Richtige“ Werkzeuge sind aber nicht immer Griffbereit, jemand anderes benutzt sie gerade oder sie sind gar in der falschen Wohnung. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bei Fenix für die Testobjekte herzlich bedanken. Sie machten mir den Umzug in jedem Fall erträglicher. Da ein solcher Bericht nicht ohne einen Vergleich zu den berühmten Vorbildern aus der Schweiz auskommt beginne ich das Ganze mit einem kleinen Exkurs. Bei einigen Funktionen werde ich darüber hinaus den ein oder anderen Vergleich ziehen.
„Schweizer Taschenmesser“
Das „Schweizer Taschenmesser“ ist nicht nur hierzulande wohl eines der populärsten Schneidwerkzeuge. Ich selbst kenne so gut wie niemanden der nicht das ein oder andere „Schweizer Taschenmesser“ besitzt. In meiner Jugend gehörte ein solches Taschenmesser einfach „dazu“ und das schon bevor „MacGyver“ die Welt damit rettete...
Ursprünglich handelte es sich um ein Soldatenmesser, welches 1891 von der Schweizer Armee eingeführt wurde. Die ersten 15.000 Stück wurden übrigens in Deutschland, genauer gesagt bei Messermanufaktur Wester & Co aus Solingen, hergestellt. Erst später übernahm dann mit Victorinox (damals noch als Firma Karl Elsener) aus Ibach ein schweizer Unternehmen die Produktion. Neben Victorinox stellten auch andere Unternehmen das Soldatenmesser her. Darunter auch Wenger, 1893 als Firma Paul Bochéat & Cie gegründet. Die heute bekannte Form des Taschenmessers ist die ab 1961 hergestellte Version bzw. dessen zivile Abwandlungen. Diese wurde nur noch von Victorinox und Wenger hergestellt. Wenger wurde 2005 von Victorinox übernommen und die Taschenmesserproduktion endete dort 2013, damit ist Victorinox alleiniger Hersteller des echten „Schweizer Offiziersmesser“. Hier ist allerdings nur diese Wortmarke sowie das Logo geschützt. Dementsprechend gibt es viele mehr oder weniger „ähnliche“ Taschenmesser am Markt.
„Ruike Multifunktionsmesser“
So hat auch Ruike Multifunktionsmesser „schweizer Art“ im Sortiment. Das Grunddesign ist bei allen Modellen gleich. Allerdings gibt es Unterschiede in der Größe, Verriegelungsform und Funktionsumfang. Die Messer der „Criterion Colletion“ sind Slipjoint Messer, also ohne feste Verrieglung mit einem Nagelhau zum Öffnen. Darüber hinaus gibt es innerhalb der „Criterion Collection“ drei unterschiedliche Klingen-/ bzw. Messergrößen: Die Modelle mit einem „S“ vor der eigentlichen Modellnummer sind die kleinen Modelle mit 53mm langer Klinge (Grifflänge 71mm). Die Modelle mit einem „M“ vor der Modellnummer haben eine 71mm lange Klinge (Grifflänge 96mm). Die größten Modelle, mit einem „L“ vor der Modellnummer gekennzeichnet, besitzen 85mm lange Klingen (Grifflänge 114mm). Die „M“ und „L“ Modelle besitzen zudem einen Glasbrecher und einen Pocketclip aus Edelstahl. Daneben gibt es noch die „Trekker“ genannten Modelle: Hier handelt es sich um Einhandmesser mit einem Daumenpin als Öffnungshilfe und einer Liner Lock Verrieglung. Die „Trekker“ Modelle gibt es ausschließlich in der „L“ Variante, also mit 85mm Klinge, Glasbrecher und Pocketclip. Die verwendeten Materialien sind bei allen Messern Identisch. G10 als Griffmaterial (4 unterschiedliche Farben) und der 12C27 Klingenstahl von Sandvik. Insgesamt listet Ruike 27 Modelle, hierzulande sind die „S“ und „L“ Modelle der „Criterion Collection“ sowie die „Trekker“ Modelle bei Fenix Deutschland erhältlich. Preislich liegen die Messer zwischen knapp 17 € und 65 €.
Ruike Trekker LD51-B
Das LD51-B ist das am umfangreichsten ausgestattete Messer der „Trekker“ Serie. 23 Funktionen werden angegeben. Wie bei allen „L“ Modellen beträgt die Gesamtlänge 199mm, wovon 8,5cm auf die 3mm starke Klinge entfallen. Aufgrund der vielen Werkzeuge ist das Messer mit ca. 25mm nicht gerade schmal und mit 262 Gramm ist das Messer sicher kein Leichtgewicht. Die Griffschalen aus schwarzem G10 haben eine ausgeprägte Struktur, welche einen sehr guten Grip vermittelt. Die Verarbeitung des „Trekker“ ist hervorragend und liegt ohne weiteres auf dem Niveau der schweizer Vorbilder. Perfekte Spaltmaße, sauber abgerundete Kanten und mittig stehende Werkzeuge. Zudem sind alle Federn der Werkzeuge angenehm stramm. Einen Überblick über die einzelnen Werkzeuge findet sich in der Produktbeschreibung bei Ruike bzw. Fenix. Auf die wichtigsten Werkzeuge und Funktionen möchte ich im Folgenden näher eingehen:
Das Messer:
Die spiegelpolierte Klinge kommt ab Werk in rasierschärfe. Der verwendete 12C27 Stahl gehört in meinen Augen zur guten Mittelklasse und für den Alltag gut geeignet. Er hält die Schärfe relativ gut und lässt sich leicht nachschärfen. Victorinox verwendet bei den „originalen“ Messern übrigens „nur“ 440a Stahl. Zumindest auf dem Papier hat Ruike in Sachen Stahlperformance damit die Nase vorne. Beim Öffnen und Schließen der Klinge stellt man ungewohnte Widerstände fest: Ruike hat hier den bei der „Criterion Collection“ verwendeten Slipjoint Mechanismus unverändert übernommen und lediglich einen Daumenpin sowie den Linerlock hinzugefügt. Das bedeutet, man muss die Klinge, Slipjoint typisch, gegen den Widerstand der Rückenfeder öffnen und den Klingenstopp überwinden. Ein Aufschleudern der Klinge ist möglich. Erfordert aber recht viel Schwung aus dem Handgelenk. Der Linerlock steht ebenfalls gewöhnungsbedürftig: Er sitzt an dem gegenüberliegenden Liner an. Hier ist allerdings eine Kerbe vorhanden in die der Liner greift, dadurch ist die Verrieglung fest und sicher. Zusätzlich „verriegelt“ die Klinge noch über die Rückenfeder…“doppelt gemoppelt“ hält bekanntlich besser. Das Öffnen und Schließen des Messers ist dadurch zunächst zwar ungewohnt, funktioniert aber in der Praxis problemlos. Sehr gelungen finde ich die Position der Klinge: Diese ist das erste Werkzeug auf der linken Messerseite. Als Rechtshänder hat man damit die Klinge an der gewohnten Position was dem Handling zu gute kommt. Bei „schweizer“ Multifunktionsmessern ist die Klinge erst das zweite oder dritte Werkzeug und sitzt somit mehr in Richtung Griffmitte. Im Falle meines „Cybertool“ von Vicorinox sogar ganz rechts am Griff. Bei feineren Arbeiten lässt das Ruike Messer in meinen Augen durch die Klingenposition besser, da intuitiver, kontrollieren. Linkshänder sehen diesen Punkt naturgemäß anders, allerdings würde ich das Messer auch aufgrund des Daumenpins ohnehin eher als „Rechtshändermesser“ einordnen.
Die Zange:
Grundsätzlich ist die Zange des Trekkers den Modellen von Victorinox recht ähnlich. Sehr gut gefällt mir hier die solide Federung der Zange: Hier wirkt die Rückenfeder, welche das Werkzeug selbst arretiert über eine Verlängerung auf die Zangenarme. Die Kraft der Feder ist entsprechend stark und ein Ausleihern praktisch unmöglich. Drückt man die Zange zusammen ergibt sich allerdings etwas Spiel. Das Ganze tut der Funktion und der Robustheit zwar keinen Abbruch, fühlt sich aber seltsam an. Auch finde ich die Idee gut, dass Ruike einen Drahtschneider in die Zange implementiert hat. Leider fällt dieser in meinen Augen deutlich zu klein aus, maximal lassen sich hier Drähte in der Dicke normaler Büroklammern bearbeiten. Insgesamt ist die Zange des Trekkers durchaus brauchbar. Die geringe Größe limitiert naturgemäß das Aufgabenspektrum, aber kleinere Aufgaben erledigt die Zange problemlos.
Die Säge:
Beim ersten Test war klar: Die Säge ist eines der Highlights des Trekkers. Das Testobjekt (der Ast wurde durch einen Sturm o.ä. bereits in Vorfeld vom Baum getrennt) war irgendwie zu schnell durchgesägt. Also, musste ich nochmal ran, dann wollte meine Freundin auch mal sägen. Dann „musste“ ich auch noch mal. Kurz gesagt: Die Säge mach einfach Spaß und steht der Konkurrenz aus der Schweiz, die zu Recht einen ausgezeichneten Ruf genießt, in nichts nach.
Die Schere:
Bei Multitools bzw. Multifunktionsmessern ist die Schere wohl das Werkzeug, welches ich im EDC Einsatz am häufigsten nutze. Dementsprechend wichtig ist mir dieses Werkzeug auch. Die Schere am Trekker macht mich glücklich: Sie ist, gemessen an der Gesamtgröße des Trekkers, relativ groß und schneidet hervorragend. Ob Papier, Pappe, Nähgarn oder Paracord alles kein Problem. Wie auch bei der Zange wirkt auch bei der Schere die Rückenfeder über eine Verlängerung auf die Scherenarme. Ein wirklich tolles System, denn es bietet recht viel „Federkraft“ und es kann praktisch nicht ausleiern. Im Gegensatz zur Zange findet sich hier in der Bewegung auch kein Spiel.
Die Pinzette:
Wer sich schon einmal eine Zecke oder einen Holzsplitter „eingefangen“ hat weiss eine Pinzette am Mann zu schätzen. Die Pinzetten bei den „originalen“ schweizer Taschenmessern sind recht klein und fummelig, aber als „Notbehelf“ durchaus OK. Legt man die Pinzette des Ruike Trekker daneben wird schnell klar: Hier haben wir ein vernünftiges Werkzeug. Größer, stärker, besser!
Der Kreuzschlitz Schraubendreher und die Stechahle:
Der Kreuzschlitz (oder Phillips) Schraubendreher und die Stechahle lassen sich nicht direkt öffnen. Sie liegen unterhalb der Zange bzw. der Schere. Man muss deshalb vorher das darüberlegende Werkzeug zumindest halb öffnen um die Werkzeuge ausklappen zu können. Deshalb gibt es bei beiden Werkzeugen auch keinen Nagelhau, sondern eine Art Hebel. Die Federkraft ist bei diesen beiden Werkzeugen zudem deutlich stärker als bei allen anderen Werkzeugen. Diesen Umstand finde ich sehr gut. Zwar benötigt man zum Öffnen deutlich mehr Kraft, dafür sitzen die die Werkzeuge aber auch sehr fest, was ein kräftiges Arbeiten zulässt. Besonders wenn man die Stechaale zum Bohren benutzt ist dies ein Vorteil. Ein weiterer Vorteil: Beide Werkzeuge sitzen nahe der Mitte des Messers und sind dadurch gut kontrollierbar.
Weitere Werkzeuge/Funktionen
Der Flaschenöffner / große Schraubendreher ist solide, aber eher unspektakulär. Der Gurtschneider / kleiner Schraubendreher stehen im 45 Grad Winkel vom Griff ab. Damit ist der kleine
Schraubendreher nicht besonders gut zu benutzen und nur etwas für den Notfall. Der Gurtschneider ist hingegen gerade in diesem Winkel gut einsetzbar. Der Korkenzieher ist vorhanden, ich benutze
ihn aber höchst selten und wenn, dann meist eher zweckentfremdet. Darüber hinaus verfügt das Trekker mit dem Glasbrecher und der einklappbaren Fangriemenöse über zwei weitere clevere
Detaillösungen.
In der Praxis:
Das Trekker ist ein tolles Allroundwerkzeug und, wie der Name vermuten lässt, insbesondere für Outdooraktivitäten geeignet. In meinem Fall war das Haupteinsatzgebiet bisher im Rahmen meiner Renovierungs- / Umzugstätigkeiten. Auch hier gab es eine Menge Gelegenheiten in denen sich das Trekker als sehr nützlich erwies. Z.B. um mal auf die Schnelle ein Holzstück zurecht zu sägen oder ein paar Schrauben zu lösen bzw. anzuziehen. Auch kann man mit der Stechahle gut Bohrlöcher „ansetzen“. Der Gurtschneider hat sich als handlicher Kartonöffner ebenfalls gut bewährt. Für den Outdooreinsatz fehlt mir persönlich ein Dosenöffner. Auch ist das LD51 für meinen Geschmack etwas zu „dick“. Als reiner Outdoorbegleiter läge mir daher das LD41 besser: Ohne die Zange und den Kreuzschlitzschraubenzieher ist das Messer dann doch handlicher und das Fehlen dieser Werkzeuge ist im Outdoorbereich, zumindest für mich, nicht tragisch.
Criterion Collection S22-N
Als Pendant zum Trekker hatte ich mich für das relativ kleine S22.N entschieden. Mit seinen 71mm Länge (geschlossen) und nur 43 Gramm Gewicht ist ein kleines EDC z.B. für den Schlüsselbund. Die 53mm lange Klinge genügt für kleine Aufgaben und ist dank der Slipjoint Verrieglung absolut „straßentauglich“ (im Sinne des Gesetzgebers). Ich wählte bewusst das S22, da es zusätzlich zur Klinge noch eine Schere beinhaltet. Mit knapp 27 € für ein Schlüsselbundmesser ist das S22 sicherlich kein Schnäppchen, allerdings bekommt man auch hier, ebenso wie beim Trekker, eine erstklassige Qualität geboten: Verarbeitung, Klingenstand, Klingengang, Verrieglung, Spaltmaße… alles auf dem gleichen Level wie beim großen Bruder: Hervorragend! Die rasiermesserscharfe, spiegelpolierte Klinge funktioniert im Alltag sehr gut und reicht für die meisten kleinen Aufgaben vollkommen aus. Der 12C27 Stahl hält die Schärfe gut und lässt sich einfach nachschärfen. Die Schere des S22 ist naturgemäß kleiner als beim Trekker, funktioniert aber ebenso gut. Auch hier wird die Rückenfeder als Feder für die Schere genutzt. Wie bei der Zange des Trekkers ist auch hier bei der Benutzung etwas Spiel zu vermelden. Unterm Strich ist das S22 ein praktisches Accessoire für den Alltag. Zudem sieht es, nicht zuletzt aufgrund der, in meinem Fall braunen, Griffschalen einfach gut aus.
Fazit:
Ich muss ehrlich gestehen, dass ich in Sachen „Schweizer Taschenmesser“ bisher konservativ eingestellt war und für mich nur die Modelle aus der Schweiz in Frage kamen. Grund dafür war einerseits das sehr gute Preis-/ Leistungsverhältnis von Victorinox und Co, andererseits der Fakt das die Geräte nicht gerade im Fokus meiner Sammelwut liegen. Das Ruike Trekker hat hier meine Sicht der Dinge verändert: Es ist qualitativ auf Augenhöhe mit der schweizer Konkurrenz. Vergleicht man die UVPs liegt Ruike deutlich unter den Preisen vergleichbarer Victorinox Modelle. Allerdings gibt es die Victorinox Messer aufgrund der hohen Verbreitung oft zu günstigeren „Straßenpreisen“ bzw. gibt es öfter attraktive Angebote. Daher sind die tatsächlichen Preise auf einem Level. Preis/Leistung und Qualität sind also durchaus vergleichbar. Insbesondere beim Trekker stellen die Detaillösungen der Ruike Messer für mich hier die Kaufargumente dar: Die Klinge gefällt mir einfach besser, Position im Messer, Bedienung und Stahlsorte überzeugen hier. Die Schere, die Pinzette, der Pocketclip usw.. Gerade wenn man ein solches Messer regelmäßig nutzt lohnt es sich in meinen Augen auf solche Dinge zu achten. Noch einmal vielen Dank an Fenix für die Versüßung meines Umzugs!
Harald
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